Prānāyāma – dein Atem als Werkzeug

Frau auf Hügel im SonnenuntergangPranayama - der Atem als Werkzeuge

Hast du gewusst, dass ein gesunder Erwachsener ohne erkennbare Anstrengung etwa 12–18 Mal pro Minute atmet? Das sind ca. 22.000 Atemzüge am Tag, die unser Körper übernimmt, ohne dass wir bewusst etwas dafür tun müssen. Der Atem ist wie ein Geschenk, doch wenn wir ihn vernachlässigen, kann uns das teuer zu stehen kommen.

Wenn der Atem zur Priorität wird

Sobald wir in Atemnot geraten, merken wir sehr schnell, wie lebensnotwendig das Atmen ist. Wurde er vorher noch als „selbstverständlich“ angesehen und nicht einmal bewusst wahrgenommen, wird er augenblicklich zur Priorität. In wenigen Sekunden ist unser gesamtes System in Alarmbereitschaft, denn ohne Sauerstoff können wir nicht lange überleben.

Die meisten Menschen können die Luft weniger als eine Minute anhalten. Trainierte Taucher schaffen bis zu 11 Minuten. Erfahrene Yogis durchbrechen Raum und Zeit – so steht es in den Schriften.

Doppelte Steuerung

Weil die Atmung so wichtig ist, verfügt unser Körper über eine doppelte Steuerung. Die autonome Atmung funktioniert ohne unser Zutun und ohne Unterbrechung. Die willkürliche Atmung ermöglicht eine Veränderung der Dauer, der Tiefe und des Rhythmus.

Der Atem dient nicht nur dazu, unserer Zellen mit Sauerstoff zu versorgen, sondern hat auch eine bemerkenswerte Wirkung auf unsere Psyche. Je besser wir diese Zusammenhänge verstehen, desto gelassener können wir den Widrigkeiten des Lebens mit einem tiefen Atemzug begegnen.

Die Yogis haben die Wirkung des Atems schon vor sehr langer Zeit erkannt und – als Teil der Yogapraxis – der Welt ein wunderbares Vermächtnis hinterlassen: Prānāyāma.

Prānāyāma, das Vermächtnis der Yogis

Unter dem Begriff „prānāyāma“ werden die yogischen Atemübungen zusammengefasst. Die Atmung wird vertieft, verlängert und verlangsamt, wobei die Pausen zwischen der Aus- und Einatmung immer weiter ausgedehnt werden. Neben den verschiedenen kurzfristigen Effekten haben die Atemübungen – wenn sie korrekt und achtsam ausgeführt werden – auch einen positiven Einfluss auf die autonome Atmung.

Zur Frage „was ist korrekt“ komme ich später nochmal zurück, denn das wird in den spärlich formulierten Überlieferungen nicht so richtig deutlich. Zum Glück gibt es tolle Erkenntnisse aus der Neuzeit, die wir für die Interpretation der Sutren hinzunehmen können.

Das Wort „prana“ wird mit Lebenskraft übersetzt und „ayama“ bedeutet kontrollieren oder erweitern.

In der Hathapradipika, einer berühmten Yogaschrift aus dem 14. Jahrhundert, heißt es, dass jedem Menschen in seinem Leben eine bestimme Anzahl von Atemzügen zur Verfügung steht . Folgen wir dem Gedanken, wird schnell klar, dass ein langes Leben damit zusammenhängt, wie sparsam wir mit diesem kostbaren Gut umgehen.

Die Atemtechniken, die wir im Yoga anwenden, sind mit dem Ziel verbunden, den Atemrhythmus zu verlangsamen und die natürlichen Pausen nach der Ausatmung zu verlängern. Es geht darum, mit wenige Atemzügen auszukommen, und gleichzeitig eine perfekte Versorgung zu gewährleisten, die uns Gesundheit und Vitalität schenkt.

Atem und Wissenschaft

Die Wissenschaft zeigt heute mit moderner Technik, warum schon vor 2000 Jahren so viel Aufhebens um die Atmung gemacht wurde. Wir können heute messen und nachweisen, was eine falsche Atmung anrichtet. Leider gibt es immer noch viele Missverständnisse zum Thema „gesundes Atmen“ und völlig überholte Annahmen halten sich trotz neuer Erkenntnisse hartnäckig – auch in der Yogawelt.

Mir selbst ist das erst so richtig klar geworden, als ich meine Ausbildung zum Atemcoach bei Ralph Skuban absolviert habe. Seitdem verstehe ich nicht nur die alten Schriften besser, sondern leite auch die einzelnen Atemmethoden viel feiner und sicherer an.

Ein Atemzug ist nicht gleich ein Atemzug.

Atem und Gesundheit

Wir können durch den Mund oder die Nase atmen, in den Bauch (tief) oder in den Brustraum (flach), laut oder leise. All das beschreibt die Mechanik des Atems. Wenn wir davon sprechen, dass wir schnell oder langsam atmen, kurz oder lang, dann beschreiben wir die Atemrhythmik. Und schließlich gibt es noch die Biochemie, die sich mit dem Atemvolumen beschäftigt. Wenn wir all dies zusammen betrachten und in der Praxis des Prānāyāma berücksichtigen wollen, ist es unerlässlich, dass wir uns als Yogalehrende mit dem Gesundheitszustand des Menschen auseinandersetzen, der vor uns sitzt.

Nicht jede Methode ist für jeden Menschen geeignet. Es gibt unbedenkliche Methoden und solche, die eine lange Vorbereitungszeit und einen guten Gesundheitszustand voraussetzen.

Neue Erkenntnisse zeigen, dass zunehmender Stress, Fehlhaltungen und Verspannungen zu ungünstigen Atemmustern führen, die sich negativ auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden auswirken.

Viele Menschen atmen zu viel (Volumen) und zu flach (Brust statt Bauch). Hinzu kommt, dass ohne Not durch den Mund geatmet wird, was leider eine ganze Reihe gesundheitlicher Folgen hat, die weit über schnelle Ermüdung und Erschöpfung hinausgehen.

In meinem Kurs Einführung in die Atempraxis nach Buteyko zeige ich dir, wie du mit sicheren Methoden ein hohes Maß an Atembewusstheit gewinnen kannst, um deine Gesundheit und dein Wohlbefinden zu verbessern.

Der Atem und die Psyche

Die Atmung hat auch einen unmittelbaren Einfluss auf die Psyche und umgekehrt. Wer hat nicht schon einmal vor Schreck den Atem angehalten? Wenn wir psychisch angegriffen sind, reagieren wir immer mit einer veränderten Atmung. Das funktioniert auch umgekehrt. Ein bewusst geführter Atem kann unseren inneren Zustand verändern.

Wir können uns mit der Prānāyāma-Praxis beruhigen, ausgleichen oder anregen, je nachdem welche Praxis wir wählen.

Ausgleichende und beruhigende Atemübungen verlängern die Ausatmung und aktivieren den Parasympathikus. Das ist der Teil unseres Nervensystems, der unter anderem den Blutdruck und die Herzfrequenz senkt. Ist der Parasympathikus aktiv, können wir uns leichter entspannen und regenerieren.

Anregende Atemübungen aktivieren den Sympathikus, erhöhen die Herzfrequenz und machen uns wach und kurzfristig auch leistungsfähig.

Mit gezielten Prānāyāma-Techniken können wir bewusst Einfluss nehmen auf:

  • unsere Gesundheit und unser Immunsystem
  • unsere Ausstrahlung und Vitalität
  • unseren Umgang mit Stress
  • unsere Konzentrationsfähigkeit
  • unsere innere Ruhe und
  • unseren Umgang mit Emotionen

Der Atem als Verbindung zum Unsichtbaren

Neben der körperlichen, emotionalen und mentalen Wirkung hat eine regelmäßige Prānāyāma-Praxis auch einen Einfluss auf unsere spirituelle Entwicklung. Auf dem 8-gliedrigen Pfad von Patañjali ist Prānāyāma die vierte Stufe, die zum Pfad der Erleuchtung führt.

„In dem Moment, in dem wir wirklich mit dem Atem verbunden sind, strömt das Universum in uns hinein.“
(Yogi Bhajan)

Wem das ein bisschen zu weit geht, der kann sich auch mit dem Zuwachs an Freude, innerem Frieden und Gelassenheit zufrieden geben.

Fazit – die Macht des Atems

Eine tägliche und gezielte Atempraxis hat einen unschätzbaren Wert für unser körperliches, emotionales und mentales Gleichgewicht.

Mit einer ausgewogenen Atempraxis können wir uns wunderbar regenerieren, unsere Gedanken zur Ruhe bringen und sogar Angstzuständen entgegenwirken. Ein entspannter Atem schenkt uns ein Gefühl von Freiheit, Vitalität und Unbeschwertheit. In den Schriften ist sogar von ewiger Jugend die Rede. 

Was auch immer wir anstreben: Wichtig ist, dass beim Erlernen der Prānāyāma-Praxis ein Lehrer oder eine Lehrerin beobachtend zur Seite steht. Die subtile Arbeit mit dem Atem ist eine ernstzunehmende Praxis mit großer Wirkung – auf allen Ebenen.

Deine Gabriele von attention.rocks