Quantität oder Qualität?

Frau auf einem alten Sofa mit Block und Stift

In der Woche, in der ich meinen 100. Wochenimpuls schrieb, stolperte ich zufällig über eine Geschichte, die sehr anschaulich macht, worauf es beim Erlernen einer neuen Fertigkeit ankommt. Was hilft uns und was bremst uns aus? Ist es der Fokus auf Quantität oder Qualität?

Du kennst sicher den Spruch „Übung macht den Meister“. Falls du den Satz so oft gehört hast wie ich, verbindest du vielleicht auch ein Gefühl von Anstrengung und Mühsal damit. Es gibt jedoch Möglichkeiten, die Anstrengung hinter sich zu lassen und spielerisch vorzugehen, wenn man etwas richtig gut machen will. 

Die folgende Geschichte stammt aus dem Buch „Art and Fear“ von David Bayles und Ted Orland und ist von mir frei übersetzt.

Die Aufgabe

Am Anfang eines Keramikkurses teilte der Lehrer seine Klasse in zwei Gruppen auf. Er erklärte den SchülerInnen, dass alle, die auf der linken Seite des Studios arbeiten, nach der Anzahl der von ihnen produzierten Arbeiten bewertet werden. Die SchülerInnen auf der rechten Seite des Studios würden nach der Qualität einer Arbeit bewertet.

Am letzten Unterrichtstag brachte er eine Waage mit und wog die Arbeit der Gruppe „Menge“ ab: Wer mit seinen Töpfen fünfzig Pfund auf die Waage brachte, bekam die Bewertung „A“. Die mit vierzig Pfund bekamen „B“ und so weiter.

Diejenigen, die nach „Qualität“ bewertet wurden, mussten nur einen perfekten Topf produzieren, um ein „A“ zu erhalten. Was meint ihr? Brachte der Fokus auf Qualität tatsächlich die besten Ergebnisse hervor?

Das spannende Ergebnis war, dass die Werke von höchster Qualität alle von der Gruppe produziert wurden, deren Aufgabe es war, sich auf die „Menge“ zu fokussieren. Während sie Berge von Töpfen produzierten, übten sie und lernten aus ihren Fehlern. Im Gegensatz dazu hat die „Qualität“-Gruppe viel über den „perfekten Topf“ theoretisiert, ohne die eigenen Fertigkeiten maßgeblich zu verbessern.

Was hilft auf dem Weg zu mehr Qualität?

Wann immer wir etwas Neues angehen, werden wir anfangs vermutlich nur „mittelmäßig“ erfolgreich sein. Da war in der ersten Fahrstunde so, beim Lernen eines Musikinstrumentes oder in der Stellung des Hundes in der ersten Yogastunde. Wenn wir uns von unserem Anspruch an Qualität lösen und die Menge zum Ziel machen, wächst die Qualität durch die Übung automatisch mit. 

Daran dürfen wir uns gerne erinnern, wenn wir mal wieder feststecken, zu viel am „wie“ überlegen, zu lange zögern oder auf Inspiration von „oben“ warten. Alles, was wir tun müssen, ist anfangen und losgelöst vom Ergebnis einfach machen. Das Ergebnis wächst mit der Anzahl der Versuche. Es ist nicht „Quantität oder Qualität“, sondern „Quantität führt zu Qualität“.

Natürlich brauchen wir auch Anleitung, Feedback und ein paar Tipps. Aber vor allem brauchen wir den Glauben an uns und die Geduld, um über die Anfangsversuche hinwegzukommen.

Manchmal reicht ein guter Grund 

Der Grund für meinen ersten Wochenimpuls war, in der schwierigen Zeit des Lockdowns mit euch in Kontakt zu bleiben. Der Nutzen war wichtiger als mein eigener Anspruch an meine Schreibfertigkeit. Und das war gut so, denn mein innerer Kritiker würde mich heute noch in meinen Tagebüchern üben lassen. 

Wenn wir mit etwas Neuem beginnen, dann sind zwei Dinge hilfreich:

  • Mut, überhaupt zu starten und sich im Lernprozess verletzlich zu zeigen
  • Geduld, es noch einmal zu versuchen, und noch einmal, und noch einmal

Achtsamkeit hilft uns dabei, denn sie schenkt uns eine Haltung der Offenheit, der Neugier und des Wohlwollens bei allem, was wir tun. Wenn wir merken, dass der innere Kritiker wieder am Meckern ist, dann können wir ihn mit der Erkenntnis aus der Geschichte „Quantität führt zu Qualität“ zum Schweigen bringen.

Die Art und Weise, wie wir das Leben angehen, hat immer etwas mit unserer Haltung zu tun. In meinem neuen Buch Achtsamkeit als Haltung findest du 52 Impulse, wie es auch in schwierigen Situationen gelingt.

Für den Fall, dass es ein paar Fähigkeiten gibt, die du gerne können möchtest, hilft dir die folgende Übung vielleicht einen Schritt weiter.

Zwei Listen mit Fähigkeiten

Listen halten fest, was beim Denken zu flüchtig ist und verankern den Inhalt in unserem Gehirn. Leg als erstes eine Liste mit Fähigkeiten an, die du im Leben gelernt hast und in denen du gut geworden bist. Das muss nichts Großartiges sein. Vielleicht hast du Autofahren gelernt, eine Fremdsprache oder das perfekte Frühstücksei zu kochen. Oder du merkst, dass du geduldiger geworden bist, nachsichtiger oder mutiger. 

Wichtig ist, dass du es am Anfang nicht oder nicht gut konntest und heute gar nicht mehr darüber nachdenken musst. Es ist nicht relevant, ob du es schnell gelernt hast oder es viel Zeit gebraucht hat. Hauptsache, du kannst es heute und möchtest dieses Können auch nicht mehr missen.

Das war die Vorübung. Jetzt kommt die Liste mit den Fähigkeiten, die du gerne können möchtest. Schau, ob dich vielleicht eine Sache ganz besonders anlacht. Vielleicht findest du eine Sache, die du im neuen Jahr angehen willst und der du 365 Tage widmest.

Wie gut wirst du sie wohl können, nach 365 Versuchen?

Much love,

Gabriele von attention.rocks