Höher, schneller, weiter – STOP die Antreiber

Mann geht auf einem Rohr in den HimmelHimmelsstuermer, Skulptur von Künstler Jonathan Borofsky, von der Documenta 9, 1992

Ich gehöre zu der Generation, die mit dem Motto „höher, schneller, weiter“ nicht nur aufgewachsen ist, sondern unbewusst dazu beigetragen hat, dass es zu einem Life-Style mutiert ist. Meine inneren Antreiber waren daran nicht unbeteiligt – deine vielleicht auch nicht.

Antreiber entwickeln sich nicht zufällig und sind Denk- und Verhaltensmuster, die oft unbewusst von Generation zu Generation übernommen wurden.

In diesem Artikel erfährst du:

  • was Muster sind und wie sie unsere Gegenwart und Zukunft bestimmen
  • welche inneren Antreiber es gibt und wo sie herkommen
  • woran wir sie erkennen und
  • wie wir sie entschärfen können

Was sind Muster?

Das Wort „Muster“ beschreibt eine Struktur, die durch das Auftreten von gleichförmigen und meist immer wiederkehrenden Formen beschrieben werden kann. Ein Muster kann sichtbar sein, wie bei Farben und Prägungen eines Stoffs. Es kann aber auch eine gedankliche Struktur sein oder eine immer wiederkehrende automatische Verhaltenweise.

Es gibt Denkmuster, die unseren Alltag erleichtern. Sie laufen automatisch ab und lassen schnelle Entscheidungen zu, ohne dass wir viel darüber nachdenken müssen. Wenn wir etwas wahrnehmen, bewerten wir oft blitzschnell und ziehen eine Schlussfolgerungen daraus, die eine Handlung zur Folge hat.

Biologisch bedingte Denkmuster und Erziehungsmuster

Neben den hilfreichen Denkmustern gibt es auch welche, die fehlerhaft oder von Nachteil sind. Manche sind biologisch bedingt und betreffen uns alle. Wer tiefer einsteigen möchte, kann sich das Buch „Langsames Denken, schnelles Denken“ von Daniel Kahneman zu Gemüte führen oder das Buch von Rolf Dobelli lesen, in dem es um 52 Bewertungsfehler geht, auf die wir alle mehr oder weniger stark hereinfallen.

Jetzt möchte ich tiefer in die individuellen Muster einsteigen, die wir uns durch unsere Erlebnisse und Prägungen in unserer Kindheit angeeignet haben. Mehr darüber zu wissen, kann uns helfen, sie aus Sicht eines Erwachsenen nochmal neu zu betrachten und gegebenenfalls anzupassen.

Von Antreibern und Anstiftern

Die Wissenschaft der Psychologie beschäftigt sich seit jeher mit bewussten und unbewussten Verhaltensweisen und ich möchte euch das Modell der „Antreiber“ vorstellen, das der amerikanische Psychologe Eric Berne im Rahmen seines Modells der Transaktionsanalyse entwickelt hat.

Antreiber haben ihren Ursprung in unserer Kindheit und basieren auf wiederholten Erfahrungen, emotionalen Reaktionen und Interpretationen.

Meist hängen sie mit Werten und Verhalten zusammen, die wir aus der Erziehung kennen oder die einen großen Einfluss auf uns hatten. Das können ausgesprochene Erwartungen sein oder auch unausgesprochene Ansprüche. Wenn wir in der Kindheit für jeden kleinen Fehler kritisiert wurden, kann es gut sein, dass wir im Erwachsenenalter einen Antreiber in uns tragen, der uns dazu bringt, alles perfekt machen zu wollen, damit wir uns in unserer Haut wohlfühlen.

Wir haben eine innere Überzeugung entwickelt, dass wir nur in Ordnung sind, wenn wir z.B. perfekt sind und keine Fehler machen, oder dass wir nur geliebt werden, wenn wir uns hart anstrengen.

Diese inneren Überzeugungen verwandeln sich irgendwann zu einem Teil unserer eigenen Identität. Sie sind wie ein Anteil von uns – mit einer eigenen Stimme. Sie treiben uns an, das zu tun, was sie für richtig halten. Dabei folgen sie nur einer alten kindlichen Strategie, die wir entwickelt haben, um uns in der Welt zurechtzufinden, um uns sicher zu fühlen und um dazuzugehören.

Innere Antreiber

Ich möchte dir heute die fünf Antreiber aus der TA (Transaktionsanalyse) vorstellen, die unser Denken, Empfinden und Verhalten prägen.

  • Sei perfekt!
    Menschen mit diesem Antreiber denken: „Ich bin noch nicht gut genug …“
  • Sei beliebt!
    Der Gedanken hinter diesem Antreiber ist: „Ich will es allen recht machen …“
  • Sei stark!
    Menschen mit diesem Antreiber denken: „Ich komme alleine zurecht …“
  • Streng dich an!
    Wer diesen Antreiber hat, denkt: „Ich muss es schaffen. Erfolge muss man sich hart erarbeiten.“
  • Sei schnell!
    Dahinter steckt der Gedanke: „Ich muss schnell sein und darf keine Zeit verschenken.“

Es können mehrere Antreiber und unterschiedliche Kombinationen in uns ausgeprägt sein, die jedoch nicht in allen Lebensumständen gleichermaßen aktiv sind.

Antreiber tragen immer positive Eigenschaften in sich und dürfen gewürdigt werden, denn sie haben uns dahin gebracht, wo wir heute stehen.

Wenn sie es jedoch übertreiben, und das tun sie immer, wenn wir in Stress geraten, wirken sie belastend. Dabei machen sie nicht nur uns selbst zu schaffen, sondern können das Miteinander mit anderen erheblich erschweren.

Schauen wir uns die Antreiber mal von unterschiedlichen Seiten an.

Antreiber-Typen

Damit es leichter fällt, sich wiederzukennen, wurden Kategorien geschaffen, die wir natürlich nur zur Orientierung verwenden. Jeder Mensch hat seine ganz eigenen Erfahrungen gemacht, hat individuelle Strategien mit unterschiedlichen Ausprägungen entwickelt, d.h. niemand sollte nur auf einen Typ reduziert werden.

  • Der Sei stark! Typ ist oft eine Kämpfernatur, die nie aufgibt und am liebsten alles alleine macht.
  • Der Sei perfekt! Typ ist der klassische Perfektionist, der selten mit dem Ergebnis zufrieden ist.
  • Der Mach es allen recht! Typ sucht die Harmonie und bemüht sich permanent darum, liebenswürdig zu sein und gemocht zu werden.
  • Der Beeil dich! Typ ist oft ein Hektiker, der keine Zeit vergeuden und gerne vieles parallel macht.
  • Der Streng dich an! Typ neigt dazu, immer Vollgas zu geben, sich selbst auszubeuten oder zu überfordern.

Antreiber-Botschaften

Jeder Antreiber basieren auf inneren Glaubenssätzen und tragen Bedürfnisse in sich. Ihre Botschaften sind:

Sei stark! Ich komme alleine zurecht und zeige niemandem wie es in mir aussieht. Ich rechne immer mit dem Schlimmsten und beiße die Zähne zusammen, um nur ja keine Schwäche zu zeigen. Ich will immer die Haltung bewahren, alleine zurechtkommen und alles unter Kontrolle haben.

Sei perfekt! Was ich mache, das mache ich gründlich! Ich hasse Schlamperei und finde immer etwas, was noch besser gemacht werden kann. Alles muss vollkommen sein, sonst ist es nicht gut genug und dann bin ich nicht gut genug.

Mach es allen recht! Ich kann schwer nein sagen. Meine eigenen Interessen sind weniger wichtig als die von anderen. Bloß keine Konflikte! Immer schön freundlich zu allen und nur nicht anecken! Ich will von allen gemocht und wertgeschätzt werden.

Beeil dich! Botschaften sind: Ich bin der Motor, der alles vorantreibt, immer auf Trab und nur keine Zeit verschwenden. Ich bin dauernd beschäftigt und mache am liebsten mehrere Dinge auf einmal. Ich will schnell am Ziel sein und keine Chancen verpassen.

Streng dich an! Botschaften sind: Erfolge muss man sich hart erarbeiten. Was leicht ist, ist nichts wert. Ich reiße mich immer zusammen und muss das schaffen, am liebsten alleine und ohne fremde Hilfe. Ich gebe nie auf und bringe Dinge immer zu Ende.

Hast du dich schon erkannt?

Als ich das erste Mal von Antreibern hörte, dachte ich, sie alle zu haben. Das ist natürlich nicht der Fall. Die besonders stark ausgeprägten Antreiber erkennen wir am deutlichsten, wenn sie uns in stressigen Situationen zu schaffen machen. Im Alltag leisten sie ja oft gute Dienste.

Wenn wir im passenden Beruf arbeiten, können wir sie dort gut zur Entfaltung bringen. Ein Pilot oder Hirnchirurg möge bitte einen Sei perfekt! Antreiber haben. Dagegen wird sich ein Perfektionist in einer Branche, in der alles schnell laufen muss und wo 80% schon ein super Ergebnis ist, womöglich nicht gut aufgehoben fühlen.

Wie kommen wir wieder in gesundes Fahrwasser?

Da Antreiber durch Glaubenssätze und Schlussfolgerungen zu einer inneren Überzeugung wurden, können wir sie genau in dieser Reihenfolge auch hinterfragen und ihnen bei Bedarf Erlaubnissätze gegenüberstellen.

Sei perfekt! Antreiber entschärfen

Für Menschen, die diesen Antreiber haben, sind Fehler negativ besetzt. Sie wollen alles gründlich machen und neigen dazu, ihre Ziele und Aufgaben überzuerfüllen. Perfektion geht über Zeit und Mühe. Ein Gefühl von Akzeptanz und Anerkennung ist fest mit einer fehlerfreien Leistung verbunden.

Wenn ich der Überzeugung bin, dass „Fehler schlimm sind“ und bei jedem Fehler ein Gefühl von Scham in mir spüre, kann ich mich fragen: Wer sagt eigentlich, dass Fehler schlimm sind? Macht nicht jeder Mensch irgendwann Fehler? Denke ich, dass der Fehler etwas mit meinem Verhalten zu tun hat oder fürchte ich, das es mich als Person reduziert?

Hier kann ich mir Erlaubnissätze formulieren und sie wie bei einem Mantra ins Bewusstsein rufen.

  • Gut ist gut genug!
  • Ich bin wertvoll, auch wenn eine Sache, die ich mache, nicht perfekt ist.
  • Auch andere haben Schwächen und machen Fehler.
  • Ich bin wertvoll durch das, was ich bin.
  • Auch ich darf Fehler machen und aus ihnen lernen.
  • Ich muss nicht alles wissen.

Wenn zwei Menschen miteinander arbeiten, kann es hilfreich sein, auf solche Antreiber zu schauen und sich gegenseitig zu unterstützen. Ich kenne diesen Antreiber von mir. Als ich mir mal auf der Arbeit den Kopf zerbrach, weil etwas schief gegangen war, sagte ein Kollege zu mir: „Hey, wir arbeiten in der Beratung und nicht im Krankenhaus, wo Menschenleben auf dem Spiel stehen.“ Das Drama, das ich um den Fehler machte, war völlig übertrieben und hatte nichts mit der Realität zu tun.

Sei stark! Antreiber entschärfen

Menschen mit einem Sei stark! Antreiber versuchen mit allen Mitteln zu verhindern, dass ein Gefühl von Schwäche nach außen dringt. Sie haben ein unglaubliches Durchhaltevermögen und Durchsetzungskraft. Sprüche wie „Indianer kennen keinen Schmerz“ gehören oft zu ihrem Sprachwortschatz oder „Aufgeben ist keine Option.“ Sie wollen alles alleine schaffen und tun sich schwer, nach Hilfe zu fragen.

Sie sagen sich oft „Niemand darf wissen, dass ich schwach / ratlos / unsicher / ängstlich, etc. bin.“ Mögliche Erlaubnissätze wären:

  • Meine Gefühle zu zeigen, macht mich noch lange nicht schwach.
  • Gefühle offen zu zeigen, erfordert Mut und macht nahbar.
  • Ich kann um Hilfe bitten, ohne mein Gesicht zu verlieren.
  • Gefühle sind etwas Schönes und sie zu zeigen, macht sympathisch.
  • Ich darf delegieren und Aufgaben verteilen.
  • Zeig dich!
  • Ich muss nicht immer alles alleine machen.

Da Menschen mit diesem Antreiber keine Schwäche zeigen wollen, akzeptieren sie oft, dass ihnen mehr aufgeladen wird, als ihnen gut tut. Wenn wir mit solchen Menschen arbeiten, sollten wir darauf achten und sie hin und wieder fragen, ob wir ihnen etwas abnehmen dürfen.

Mach es allen recht! Antreiber entschärfen

Menschen mit diesen Antreibern wollen von allen gemocht werden und denken, dass das nur dann der Fall ist, wenn sie es allen recht machen und jeden zufriedenstellen. Dafür brauchen sie ständig die Bestätigung von außen, dass sie liebenswert, nett und aufmerksam sind.

Mögliche Erlaubnissätze sind:

  • „Nein“ ist ein ganzer Satz.
  • Ich bin auch liebenswert, wenn ich anderer Meinung bin.
  • Ich muss nicht bei allen beliebt sein.
  • Ich darf mich anderen zumuten, denn sie tun’s ja auch!
  • Auch meine Bedürfnisse und Wünsche sind berechtig und wichtig.
  • Ich gefalle mir jetzt mal selbst!

Da Menschen mit diesem Antreiber empfindlich auf Kritik reagieren, ist es sehr hilfreich, diese behutsam zu übermitteln und dabei darauf zu achten, dass sie als Mensch immer noch wertgeschätzt sind.

Beeil dich! Antreiber entschärfen

Den Beeil dich! Antreiber kenne ich nur zu gut und es ist ein Wunder, dass ich es trotz dieses Antreibers zur Yogalehrerin und Achtsamkeitstrainerin gebracht habe.

Menschen mit diesem Antreiber sind oft überlastet und voller Hektik – sie sind immer auf dem Sprung und in Gedanken schon einen Schritt weiter. Zeit ist ihnen enorm wichtig und sie wollen so viel wie möglich davon nutzen. Sie denken, es müsste immer alles sofort und schnell fertig sein und das bringt sie schnell in Zeitstress.

Mögliche Erlaubnissätze sind:

  • Ich darf mir Zeit lassen.
  • Ich erlaube mir, Pausen zu machen.
  • Ich kann im Hier und Jetzt genießen, was ist.
  • Ich darf auch mal nichts zu tun.
  • Langsam ist das bessere Schnell.
  • Es ist genügend Zeit vorhanden.

Da sich Menschen mit Beeil dich! Antreiber immer knapp an der Grenze der verfügbaren Zeit bewegen, ist es wichtig, dass sie sich Puffer für unerwartete Dinge einbauen. Sie profitieren sehr von der Erfahrung, dass Stille und Nichtstun äußerst erfüllend sein können. Oft sind sie Multitasking-Fans und staunen nicht schlecht, wenn sie erfahren, dass es effektiver ist, die Dinge nacheinander zu erledigen.

Streng dich an! Antreiber entschärfen

Erfolge, die ohne Anstrengung erzielt werden, sind bei Menschen mit diesen Antreibern oft nicht viel wert. Sie schöpfen sofort Verdacht, wenn etwas leicht geht und wählen oft komplizierte Vorgehensweisen. Wenn etwas nicht klappt, strengen sie sich noch mehr an und Sätze wie „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ und „Von nichts kommt nichts“ gehören zu ihrem Repertoire.

Mögliche Erlaubnissätze sind:

  • Arbeit darf Freude machen
  • Ich darf mich entspannen und es mit gut gehen lassen.
  • Erfolge dürfen gefeiert werden.
  • Leistung ist auch wertvoll, wenn sie auf Anhieb klappt.
  • Ich muss nicht um alles kämpfen.
  • Das Leben darf leicht sein und ich vertraue in meine Fähigkeiten.

Menschen mit diesem Antreiber suchen oft die Konkurrenz und wollen besser sein als andere – oder wenigstens nicht schlechter. Da sie sich immer beweisen möchten, rufen sie bei Herausforderung sofort „Hier“ und geben ständig Vollgas. Da man sich total auf sie verlassen kann, ist es wichtig, dass wir sie nicht durch ihre Leistung definieren, sondern auch Wertschätzung auf anderer Ebene zeigen.

Fazit

Antreiber sind wertvolle Ressourcen, die unser Leben geprägt haben. Sie haben uns dahin gebracht, wo wir heute stehen. Wir dürfen sie wertschätzen und gleichzeitig im Auge behalten, denn bei Stress neigen sie zur Übertreibung. Mit den Antreibern ist es wie mit den Störenfrieden in der Schule – am besten setzen wir sie in die erste Reihe, damit wir sie immer gut im Auge haben.

Fühl dich wertgeschätzt, geliebt und geschätzt! So wie du bist!

Alles Liebe

Gabriele