Wie Yoga unser Bewusstsein für die Umwelt stärkt

Yoga und Bewusstsein

Als mich Svenja Bickert-Appleby, Gründerin von „Solostücke“, fragte, ob ich Lust hätte, über den Zusammenhang von Yoga und Umweltbewusstsein zu schreiben, war ich gleich Feuer und Flamme. Yoga und Bewusstsein sind eine untrennbare Einheit und mich faszinierte die Frage, was genau unser Bewusstsein beeinflusst und welche Rolle Yoga dabei spielt.

Bei der Recherche ist mir aufgefallen, dass ich schon oft über Bewusstseinszustände wie Achtsamkeit und Autopilot geschrieben habe, aber wenig über das Bewusstsein selbst.

Der Begriff hat im deutschen Sprachgebrauch eine sehr vielfältige Bedeutung. 

Wissenschaftlich oder philosophisch?

Nähere ich mich dem Begriff wissenschaftlich, geht es um das Erleben mentaler Zustände und Prozesse, d.h. das was unser Geist und unser Denken ausmacht. Der Neurowissenschaftler Antonio Damásio beschreibt „Bewusstsein“ als einen Geisteszustand, in dem ein Mensch Kenntnis von der eigenen Existenz und der Existenz seiner Umgebung hat. 

Wenn ich mich philosophisch annähere, kommt eine weitere Ebene hinzu, die oft als „Beseeltsein“ bezeichnet wird. An der Stelle wird es geheimnisvoll, mystisch und gleichzeitig auch individuell spekulativ. 

Die philosophische Ebene des „Beseeltseins“ ist eine Ebene, die schwer zu greifen ist und über die wir nur wenig wissen. Dichter und Mystiker haben versucht, den Zustand zu beschreiben, doch auch sie konnten das Unfassbare nicht ausdrücken. 

Es war schon immer einfacher, all das aufzuzählen, was es nicht ist. Schon im Vedanta, einem alten indischen Philosophiesystem, war dies eine bewährte Methode, um aus der illusionären Welt herauszukommen und das Absolute zu erfahren. „Neti, neti – es ist nicht dies, es ist nicht dies.“

Bewusstsein in der Yogaphilosophie 

Das übergeordnete Ziel im Yoga ist das Erlangen des „reinen Bewusstseins“, auch unter dem Begriff Erleuchtung bekannt. Was immer auf diesem Weg in Stufen passiert, beschrieb Patañjali vor mehr als 2000 Jahren in seinen Sutren (Merksätze). Er tat dies so kurz und knapp, dass man locker ein halbes Leben mit der Interpretation verbringen kann. 

In den Sutren ist viel von dem enthalten, was die Antonio Damásio beschreibt. Es geht um mentale Zustände des Geistes und um deren Kultivierung.

Darüber hinaus gibt es im 8-gliedrigen Pfad aber auch Richtlinien für einen ethischen Umgang mit sich selbst, den Mitmenschen und der Umwelt. Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit und Nicht-Horten sind nur drei wichtige Qualitäten, die zum Yogaweg gehören. Wäre das nicht eine wunderbare Grundlage für ein Umweltbewusstsein, das die Welt gerade braucht?  

Interessant ist auch, dass die Körperhaltungen (āsanas) in Patañjalis Sutren nur wenig Platz einnahmen. Sie waren damals nur ein Mittel für die perfekte Meditationshaltung auf dem Weg zum „reinen Bewusstsein“.

Bewusstsein versus bewusst sein 

Auch in der modernen Yogapraxis beschäftigen wir uns sehr viel mit dem Bewusstsein. Jeder Atemzug und jede Haltung werden bewusst ausgeführt und wir öffnen uns allem, was dabei wahrgenommen werden kann. 

In der Praxis merken wir schnell, dass dieser bewusste Zustand nicht geschenkt wird. Jeder, der sich schon mal für längere Zeit auf den Atem konzentrieren sollte, weiß, wie schnell man sich in Gedankenspaziergängen verlieren kann. Sobald das passiert, ist es vorbei mit dem „bewusst sein“ im Augenblick.

Sich seiner selbst ganz bewusst zu sein, geht weit über den Augenblick hinaus und ist ein langer Weg. Es beginnt damit, dass wir die Aufmerksamkeit nach innen richten und bereit sind, jede Vorstellung loszulassen, die wir von uns haben. 

„Bewusst sein“ spielt sich grundsätzlich in der Gegenwart ab und in der Wahrnehmung dessen, was gerade ist, jenseits von Vorstellung, Interpretation, Wunsch und Abneigung. 

Die Entscheidung, gegenwärtig und bewusst zu sein, müssen wir jeden Augenblick neu treffen und deren Umsetzung erfordert einen mitunter erheblichen Energieaufwand.  

Kann Yoga die Welt in Einklang bringen?

Für manche wird Yoga zu einer Offenbarung stilisiert, die das Menschsein aus meiner Sicht weit übersteigt. Vorstellungen von bedingungsloser Liebe, Verbundenheit mit der Natur und innere Weisheit sind große und lohnenswerte Ziele. Gleichzeitig sind sie eine Bürde für alle Praktizierende. Jeder stößt auf seinem Weg an die ein oder andere Grenze und das ist menschlich.

Ich bin überzeugt, dass Yoga zu mehr Bewusstsein führt und dass wir uns in der Praxis leichter als Teil eines größeren Ganzen spüren können.  Sobald sich der Geist beruhigt, wird deutlich, was wirklich wichtig ist, was man braucht und was nicht. 

Seit ich Yoga praktiziere, sind mir Werte wie Güte und Mitgefühl näher als je zuvor. Ich finde, das sind gute Voraussetzungen, um über den eigenen Tellerrand zu blicken.

Yoga verändert das Erleben und auch die Sichtweise. Damit jedoch wirkliche Veränderung geschieht, müssen wir vom bewussten Wahrnehmen auch irgendwann ins Handeln kommen. 

Bewusst sein beginnt mit einer Entscheidung

Eine Veränderung erfordert die Bereitschaft sich für eine Sache zu entscheiden und gegen eine andere. Z.B. für das Wohl der Tiere und gegen ein Steak aus fragwürdiger Haltung. Veränderung beginnt mit einer Entscheidung, und um diese umzusetzen brauchen wir einen starken Willen, Überzeugung und Umsetzungskraft.

Jeder verfügt über diese Werkzeuge und bestimmt, wann er sie einsetzt. Am einfachsten ist es, wenn uns eine Sache wirklich wichtig ist und wenn wir eine Verbindung dazu haben.

Ich glaube, dass in dem Moment, in dem wir uns selbst und die Umwelt bewusster wahrnehmen, auch ein Gefühl von Verbundenheit entsteht. Dabei meine ich die reine Wahrnehmung – frei von Interpretationen, Beschönigung, Verharmlosung oder Verdrängung.

Wir dürfen uns fragen: Wovon braucht die Welt mehr? Wovon weniger? Was genau nehmen wir wahr?

Es kann zwar niemand allumfassend beantworten, was „die Welt“ braucht, aber wir wissen genug, um die ein oder andere Idee umzusetzen. Im Kleinen wie im Großen. Jeder kann seinen Teil tun. 

Unterstützt Yoga unser Umweltbewusstsein?

Auch wenn wir den Zustand des Verbundenseins mit unserer Umwelt nicht auf Knopfdruck erreichen können, ist es doch möglich, an den Bedingungen zu arbeiten, die diesen Zustand begünstigen. 

Yoga liefert uns dafür eine wunderbare Anschauung und Praxis. Yoga lädt dazu ein, uns selbst in der Welt zu erleben, mit dem Ziel, sich als Teil eines größeren Ganzen zu erkennen. 

Wenn wir uns darauf einlassen und all unsere Gedanken, Pläne und Aktivitäten für eine Weile zur Ruhe kommen lassen, dann schaffe wir es leichter, die Verbindung zu spüren und zu erkennen, wie wichtig sie ist. 

Aus diesem Bewusstsein heraus ziehen wir die Kraft, uns immer wieder neu auf unsere Umwelt einzulassen. Tag für Tag und Atemzug für Atemzug. 

Deine Gabriele von attention.rocks ❤️

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