Verdrängung – Strategie oder System?

Foto von Alina-Cara Tobi (Naira Fotografie)

Wir leben in schwierigen Zeiten. Eine Krise folgt der nächsten und viele Nachrichtensender kümmern sich mehr um die Sensationslust ihrer KundInnen als um journalistische Aufklärung. Gleichzeitig werden komplexe Themen – vom Leser, Politiker bis hin zum selbst ernannten Experten – gefährlich vereinfacht, verharmlost oder verdrängt. Woher kommt dieser Drang zur Verdrängung?

Folgen wir einer unbewussten Strategie, um schnell unseren inneren Frieden wiederherzustellen? Und welchen Preis zahlen wir für diesen kurzfristigen Ansatz?

Ein Blick in die Realität ist nicht gefällig, aber notwendig

Auf der anderen Seite gibt es immer noch Menschen, denen es um die Sache geht, anstatt um Befindlichkeiten geht. Menschen, die kein Blatt vor den Mund nehmen und den Problemen auf den Grund gehen.

Ideal ist es – und hier wird die Luft zunehmend dünner – wenn die Aufklärung so leicht daherkommt, dass sie neugierig macht. Aufklärung, die gerade noch unterhaltsam ist, die zum Nachdenken anregt und Menschen zum Handeln motiviert.

Ich bin der Meinung, dass Offenheit und Fingerspitzengefühl eine wichtige Kombi im Umgang mit schwierigen Themen sind. Mit „Schönreden“ werden wir die Probleme der modernen Zeit nicht lösen – egal wie oft uns das bei Instagram & Co in Aussicht gestellt wird. Ein Blick in die Realität ist für uns alle notwendig – nicht nur für Journalisten und Politiker.

Realität ist auch immer subjektiv

Je nachdem, wie wir es gewohnt sind, die Welt zu sehen, kommen schnell Unsicherheit und Ängste auf. Ein natürlicher Impuls bei Krisen ist, schnell wegzuschauen oder gar nicht erst hinzusehen. Wenn es zu spät ist, um wegzuschauen, bleibt immer noch die Möglichkeit, die Probleme wegzurationalisieren. Hauptsache sie sind vom Tisch!

Diese Tendenzen der Verdrängung haben natürlich eine Funktion. Sie machen „gefühlt“ das Leben leichter und vereinfachen die Komplexität, der wir uns oft so ausgeliefert fühlen.

Je deutlicher wir unser Ausweichen erkennen, umso wirksamer können wir drauf reagieren – ohne wegzusehen. Hier kommt Achtsamkeit ins Spiel.

Achtsamkeit ist eine Form der Wahrnehmung, die ganz bewusst im gegenwärtigen Moment mit einer offenen und wohlwollenden Haltung geschieht.

Achtsamkeit entlarvt die Tendenz zur Verdrängung

Achtsamkeit hilft uns, Verdrängungstendenzen zu erkennen. Das ist ein wichtiger Schritt, um die eigenen Gefühle und Gedanken zu verstehen. 

Was nutzt uns die Vogel-Strauß-Taktik? Den Kopf in den Sand zu stecken ist so unsinnig wie die Vogel-Strauß-Theorie selbst. Diese Redewendung gab es schon im Altertum und sie unterstellt fälschlicherweise dem Vogel Strauß, dass er bei Gefahr seinen Kopf in den Sand steckt. 

Obwohl diese Unterstellung falsch ist, hält sie sich tapfer – wie so wie vieles, was wir denken. Unwahrheiten sind hartnäckig, weil unzählige Wiederholung über lange Zeit dazu geführt haben, dass Menschen über Generationen daran glauben. Es reicht nicht, die Wahrheit aufzudecken – wir müssen sie sondern erzählen, bis auch der Letzte davon gehört hat.

Kenn ich schon, brauch ich nicht! Warum Wissen allein nicht reicht

Verdrängung und fehlerhafte Denkmuster – die wir übrigens alle haben – dienen einem Zweck. Sobald wir die Funktion dahinter erkennen, wird es uns leichter fallen, sie zu korrigieren und vielleicht sogar, mit der Zeit, auszumerzen. 

Nehmen wir mal diese Vogel-Strauß-Theorie. Wenn ich lieber wegschaue, statt unangenehmen Fakten Aufmerksamkeit zu schenken, komme ich dem Wunsch nach „Frieden“ nach. Verdrängung ist eine erfolgreiche Strategie – kurzfristig – denn alles, was diesen Frieden stört, wird ausgeblendet oder wegrationalisiert. 

Die Kosten einer solchen Haltung können uns jedoch teuer zu stehen kommen. Je nachdem, was wir zu ignorieren pflegen, können wir damit unsere Gesundheit ruinieren, unsere Beziehungen gefährden oder sogar das Gleichgewicht der Welt aufs Spiel setzen. Ein hoher Preis!

Was wäre, wenn wir es wagen, vorsichtig hinzuschauen? Was wäre, wenn wir uns sogar fragen, was wir tun können und trotzdem – oder gerade deswegen – unseren inneren Frieden wahren? 

Nehmen wir das Klima. Es gibt so viele Möglichkeiten jenseits von Verdrängung. Wir müssen nicht gleich Vegetarier werden, um z.B. der Massentierhaltung entgegenzuwirken, die bei der Klimaveränderung eine wesentliche Rolle spielt. Es gibt viele kleine Schritte, die das Leben auf dieser Erde positiv beeinflussen würden – vor allem, wenn wir sie als Menschheit tun. 

Da wir aber nie die ganze Menschheit auf einmal bewegen können, bleibt uns nur bei uns selbst anfangen und es vorzumachen. Wir haben so viel Einfluss mit unserem eigenen Verhalten und agieren als Vorbild – im Guten wie im Schlechten. 

Nachsicht mit uns und anderen

In dem Moment, in dem wir uns entscheiden, aktiv zu werden, sind wir nicht mehr überwältigt, sondern wirksam! Das ist ein wichtiger Schritt für den inneren Frieden und dieser Schritt macht einen Unterschied in der Welt – so klein er auch sein mag. 

Kein Mensch ist perfekt, aber jeder Anfang ist es. 

Ich bin schon über das „Hinschauen“ glücklich und widme diesen Impuls all denen, die den Mut haben, auch unangenehmen Fakten ins Gesicht zu schauen. Und seien wir ehrlich – Fakten haben immer ein Gesicht und erzählen eine Geschichte.

Welches Gesicht haben die Fakten, und wie wahr sind sie?

Fakten wecken Bilder in uns, doch nicht alle Fakten, die im Umlauf sind, erzählen wahre Geschichten. Das ist die Krux im Zeitalter, in dem jeder Mensch mehr Informationen in der Hosentasche trägt, als er je verarbeiten kann. 

Wir müssen also nicht nur „hinschauen“, sondern sehr genau hinschauen. Was ist wahr? Was fehlt? Manchmal führt ja schon das Weglassen von Fakten in die Irre. Achtsamkeit lässt uns offenbleiben und hilft beim Genau-Hinschauen.  

Welche Fakten fallen dir ein, die dir deinen Frieden rauben? Hast du alle Seiten gehört? Was kannst du tun, um sie besser zu verstehen? Was hilft dir, etwas zu verändern? Wofür willst du dich einsetzen? 

„Wer will, findet Wege, wer nicht will, findet Gründe.“

Götz W. Werner und viele andere

Wir brauchen viele Wiederholungen, um neue Wege einzuschlagen und ausgetretene Pfade hinter uns zu lassen. Das geht nicht an einem Tag. 

Praxis, um neue Pfade begehbar zu machen

Im Yoga gibt es eine Methode, mit der wir neue Vorhaben stärken können. Sie heißt Yoga Nidra und hilft uns dabei, tiefere Bewusstseinsschichten zu erreichen. Darüber hinaus führt sie eine Entspannung auf mentaler, emotionaler und körperlicher Ebene herbei. Wenn wir in dieser Tiefenentspannung einen Satz (Sankalpa) wiederholen, geben wir unseren Gedanken eine Richtung.

Ein Sankalpa ist ein formulierter Vorsatz oder eine Absicht. 

Formuliere den Satz in der Gegenwart und gibt ihm eine positive Ausrichtung. Vermeide Verneinungen oder Worte mit negativer Bedeutung. Sage „ich übe mich in Liebe“ statt „ich will nicht mehr hassen“. Unser Geist würde im letzten Fall am Wort „hassen“ hängenbleiben. Hier findest du eine 20-minutige Yoga Nidra Session für zu Hause. Wiederhole am Anfang und am Ende der Übung dreimal deinen Satz, um ihn tief zu verankern. 

Ich wünsche dir viel Erfolg bei all deinen Bemühungen. Mögen wir an den Herausforderungen wachsen. 

Deine Gabriele von attention.rocks

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